Pro Reli: Berlin steht vor neuem Volksentscheid

195 000 Unterschriften beim Wahlleiter eingereicht - Abstimmung zeitgleich mit Europawahl möglich

Knapp eine Woche vor Ablauf der Frist hat die Bürgerinitiative Pro Reli nach eigenen Angaben ihr Ziel erreicht. Gestern Morgen überreichte die Initiative dem Landeswahlleiter 195 000 Unterschriften, wie der Vorsitzende der Initiative, Christoph Lehmann, bestätigte. 170 000 Unterschriften sind nötig, um nach dem Volksentscheid über die Zukunft des Flughafens Tempelhof einen weiteren Volksentscheid zu erreichen. "Wenn die Quote der ungültigen Unterschriften bei acht bis zehn Prozent liegt, hat Pro Reli das Quorum knapp geschafft", sagte Innensenator Ehrhart Körting (SPD) gestern im Abgeordnetenhaus.

Die Initiative setzt sich für die Einführung eines Pflichtwahlfaches Religion an den Berliner Schulen ein. Bislang ist der Religionsunterricht ein freiwilliges Zusatzangebot, dagegen ist Ethik seit 2006 Pflichtfach. An den Grundschulen werden bislang - ebenfalls freiwillig - allein Religion unterrichtet. Pro Reli setzt sich dafür ein, dass alle Schüler sich künftig zwischen Religion und Ethik entscheiden müssen. Spätestens 15 Tage nach Ablauf der Frist zur Unterschriftensammlung am 21. Januar muss der Landeswahlleiter die Stimmen geprüft haben. Ein Volksentscheid könnte mit der Europawahl am 7. Juni stattfinden. Auch ein früherer Termin ist denkbar.

Lehmann betonte, er freue sich über das erfolgreiche Volksbegehren. "Wir sind jederzeit bereit, mit den Abgeordneten ein Gespräch über eine vernünftige Lösung für die Stadt zu suchen", so Lehmann. CDU-Partei- und -Fraktionschef Frank Henkel begrüßte den Erfolg der Initiative. "Wir fordern den Senat auf, das Gespräch mit den Kirchen zu suchen, um endlich Wahlfreiheit zwischen Ethik und Religion zuzulassen", sagte Henkel gestern. Die Regierungskoalition spricht sich für gemeinsamen Unterricht im Fach Ethik aus.

Es war Innensenator Körting, der den Befürwortern des Volksbegehrens einen Strich durch die Rechnung machte. Im Abgeordnetenhaus nutzte er gestern eine Frage des CDU-Abgeordneten Matthias Brauner, um die Nachricht des Tages zu verkünden: "Nach meinen Informationen reicht die Initiative 195 000 Unterschriften ein." Wenn die Quote der ungültigen Stimmen wie bisher bei acht bis zehn Prozent liege, dann habe das Volksbegehren für ein Wahlpflichtfach Religion das Quorum der der notwendigen 170 000 Stimmen erreicht.

Körting überraschte damit die Initiatoren der Vereins Pro Reli, die seit vier Monaten die Unterschriftensammlung organisieren. Christoph Lehmann, Vorsitzender des Vereins, wollte die Nachricht erst am Abend bundesweit über das Fernsehen verkünden. Dafür war alles vorbereitet. Am Mittag hatte er mehrere Kisten mit Unterschriften beim Landeswahlleiter abgegeben - ohne dort die vom Verein Pro Reli ermittelte Zahl von 195 000 mitzuteilen. Diese Nachricht sollte über das "heute-journal" bekannt gegeben werden. Doch Körting erfuhr - vermutlich während eines Interviews des ZDF - von der genauen Zahl und veröffentlichte sie.

Der Wettlauf um die Nachricht zeigt, wie verhärtet die Fronten zwischen dem rot-roten Senat und den Initiatoren des Volksbegehrens sind. Auf der einen Seite der Senat, der seit 2006 das Unterrichtsfach Ethik eingeführt hat, an dem alle Schüler ab der 7. Klasse teilnehmen müssen. Auf der anderen Seite die Kirchen, die jüdische Gemeinde sowie CDU und FDP, die dadurch den freiwilligen Religionsunterricht bedroht sehen. Sie wollen ein Wahlpflichtfach, bei dem die Schüler zwischen Religions- und Ethikunterricht wählen können. Dass die Initiative offenbar die Stufe zum Volksentscheid erreicht hat, bringt nun den Senat in Bedrängnis - erneut in Bedrängnis.

Denn es war das vor allem von der CDU vorangetriebene Volksbegehren zur Offenhaltung des Flughafens Tempelhof, das im vergangenen Jahr den SPD-Linke-Senat in die politische Enge getrieben hatte. 530 000 Berliner hatten für die Offenhaltung des Flughafens gestimmt. 70 000 zu wenig, um den Volksentscheid zu einem Erfolg zu machen. Aber die knapp über eine halbe Million Befürworter des Flughafens brachten den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) in Erklärungsnot. Doch Wowereit blieb hart. Der Flughafen ist mittlerweile geschlossen.

Das jetzige Volksbegehren, das einen Religions- oder Ethikunterricht ab der ersten Klasse durch Rot-Rot noch heikler. Im Gegensatz zu Tempelhof hätte ein Erfolg bindenden Charakter. Weil die Initiative Pro Reli ein konkretes Gesetz verändern will, müsste sich der Senat bei einem erfolgreichen Entscheid an den Volkswillen halten. So sieht es das Gesetz zur besseren Bürgerbeteiligung an der Demokratie vor.

Lehmann hofft, dass der Volksentscheid am 7. Juni durchgeführt wird. Weil an diesem Termin auch die Europawahl läuft, hofft er auf einen hohe Mobilisierung (siehe Interview). Doch in der rot-roten Koalition ist man sich über den Termin nicht einig. Wie es heißt, plädiert SPD-Landes- und Fraktionschef Michael Müller intern dafür, die Bürger so schnell wie möglich an die Urnen zu rufen. Dahinter steht das Kalkül, dass die Initiatoren des Volksentscheids dann das gefordert Quorum von 25 Prozent der Wahlberechtigten verfehlen. Die Linke setzt sich dafür ein, parallel zur Europawahl abzustimmen.